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MiMi

Auf dem Land und in den Suburbs hat man keine Wahl. Da muss man Musik machen, weil es sonst nichts zu tun gibt. Aber MIMI ist ein Großstadtmädchen. Schon von Geburt an. MIMI kommt aus London – okay, das ist die Stadt der Musik schlechthin, aber sie hätte auch ganz andere Sachen mit ihr machen können: Ein rückhaltloses Partytier hätte in London aus MIMI werden können. Oder ein trauriges It-Girl, das seinen flockigen Ruhm ständig selbst behaupten muss. Hätte auch passieren können, dass Lärm und flüchtige Freundschaften ihr irgendwann auf die Nerven gehen. Dann wäre sie vielleicht aufs Land gezogen und würde jetzt Lämmchen züchten. 

Aber MIMI macht Musik. Ganz besondere Musik. Songs, wie sie kein anderer Mensch auf der Welt, in keiner anderen Stadt der Erde schreiben und singen könnte. Über die Power des Alleinseins, über die Jagd und die Träume von übermorgen. Blumig und rau. Sachen, die man nicht nachgeworfen kriegt. Und längst hören ihr nicht mehr nur die Nachtschwärmer und Nachbarn zu. Sondern alle, die ihre Lieblingsmusik auf der richtigen Frequenz empfangen.

MIMImacht Songwriter-Pop, Herzgebrochenen-Rock’n’Roll, Gedichte für die Handinnenfläche, laute Songs für Nächte ohne Schlaf, Lieder für die Fahrt über die „Natural Born Killers“-Landstraße (nachdem die Killer im Bett sind), die man ab und zu unterbrechen muss, um auf einem leeren Parkplatz verrückt zu tanzen. MIMIs erstes Album „Road To Last Night“ klingt oft ein wenig nach Amerika, mit schnarrenden Bottleneck-Gitarren, Wüstenorgel und einem gewissen Blues-Stomp. Obwohl MIMI wie gesagt aus London kommt und die Platte in Hamburg produziert wurde. 

Mal von vorn: MIMI heißt eigentlich Sarah und kam im September 1985 in der britischen Hauptstadt zur Welt. Ihre Eltern sind das englische Model, die Schauspielerin und Fotografin Polly Eltes und der deutsche Sänger und Schauspieler Marius Müller-Westernhagen (dazu später mehr). Schon mit zwei Jahren tanzte sie zur Musik, die zu Hause aufgelegt wurden, mit sieben bekam sie von einem Freund der Mama Gitarrenunterricht und ihre erste Lieblingsplatte („Rumours“ von Fleetwood Mac). Den ersten Auftritt spielte sie mit 15 im 12 Bar Club in der Londoner Denmark Street (Gage: Rabatt auf eine Gitarre im Laden nebenan). Schon da sang sie selbstgeschriebene Songs. Einer von damals, „Without Love“, schaffte es sogar rund zehn Jahre später auf das Debütalbum.

„Ich habe die Musik nie als Karriereoption gesehen“, sagt MIMI heute. „Wenn man einer Sache so richtig verfallen ist, denkt man nicht: Das ist ein super Businessplan, ich sprech´ mal gleich mit meiner Bank! Es gab keinen Plan.“

Trotzdem (oder deshalb) gründete MIMI 2004 mit drei Jungs, die sie im Londoner Nachtleben in Unterhaltungen über die Kinks und tolle alte Gitarren verwickelt hatte, die Band Battlekat. Eine wüste Glam-plus-Punk-geteilt-durch-Courtney-Love-Band. Sie probten jeden Tag, traten zwei Mal pro Woche auf und verdienten dennoch kein Geld mit dem irren Spaß. Um nach dem Schulabschluss die Miete zahlen zu können, arbeitete MIMI als Model – eher blass, eher dünn, also genau die Richtige für coole Aufträge. „Es war weit weniger aufregend als gedacht“, sagt sie. „Oft ging es nur darum, stundenlang in einer Jeanshose irgendwo rumzustehen.“

„Eine Rolle zu spielen macht schon Spaß, wenn man ein schüchterner Mensch ist wie ich. Die MIMI, die ich bin, würde nie auf der Bühne rumhüpfen oder Bier ins Publikum gießen. Die Battlekat-MIMIhat das gemacht. Aber sich selbst zu spielen – das ist viel schwerer. Weil man sich ständig fragt: Bin ich besonders genug, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu finden? Aber darum geht es gar nicht. Es geht darum, ob die Leute einen Zugang zu dem finden, was man singt und sagt. Ob sie ein Stück von sich selbst darin wieder erkennen.“

17 Songs wurden in zwei großen Sessions im September 2009 und Januar 2010 fertiggestellt, elf kamen in die letzte Wahl für „Road To Last Night“. Zwischendurch flog MIMI zurück nach London, Geld verdienen. Der erste schöne Erfolg: „Don’t You Mourn The Sun“ schaffte es auf die deutsche Version des „The Twilight Saga: Eclipse“-Soundtracks. Hunderttausende Mädchen hörten, dass man als junge Frau mit Fantasie viel mehr erreichen kann, als den Tag vampiresk zu verträumen.

Und worüber singt ein 25-jähriges London-Girl, das schon weitgereist und durch viele Abenteuer abgehärtet ist? In „Lonely One“ zum Beispiel, einem nachts im BMW geschriebenen, leicht chemischen Klage-Groove, über das majestätische Gefühl, einsam voranzugehen. In „One“, einem schwebenden Orchester-Mantra, über das Problem, eine ganz wichtige Nachricht an jemanden zu schicken, der nicht mehr ans Telefon geht. Und in „Once Again“, der ersten offiziellen Single, über das Ende einer Beziehung. Wenn man keine Lust mehr auf Diskussionen und Entschuldigungen hat, sondern einfach nur weg will. Man merkt schon: Ein Liederzyklus über den Spanischen Bürgerkrieg ist „Road To Last Night“ nicht. Sondern MIMIs Tagebuch.

„Je mehr ungewöhnliche Leute ihren Weg in den Mainstream finden, desto besser“, sagt MIMI, die Jack White, Tom Waits, die Pixies und Stevie Nicks liebt. „Das ist die einzige Chance, um Musik in Umlauf zu bringen, die einfach anders ist. Es ist bescheuert, immer nur zu sagen: Oh, es kommt nichts Gescheites im Radio... Dann sollen die Leute doch losziehen und das ändern!“ Ach ja, Marius Müller-Westernhagen. Er trennte sich zwar bald von Polly Eltes, ist mit Tochter MIMIund der Mutter aber bis heute in gutem Kontakt. Dass die Platte in Hamburg produziert wurde, damit hat er nichts zu tun. „Ich bin sehr stolz auf ihn und das, was er erreicht hat“, sagt MIMI. „Und er hätte im Studio sicher gerne mitgeholfen. Aber wir haben da so eine Abmachung: Wir sprechen nie über Musik oder das Business. Weil ich meine eigenen Erfahrungen sammeln will. Das wäre sonst so, wie wenn man bei einem Krimi die Auflösung als erstes liest. Blödsinn.“

Ein Krimi ist MIMIs Geschichte nicht. Eher: ein Schelmenroman. Mit Hang zu Drama und wildem Zeug. Ein Roadtrip. Ein Roadtrip zurück in die letzte Nacht. Und MIMI singt von all dem, an das wir uns nicht erinnern können. Der Mann im Autoscooter würde sagen: Bitte anschnallen!

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